Meine Zwillingsmädchen sind 2 1/2 Jahre alt, sitzen in ihren Hochstühlen nebeneinander und sollen essen. Vor Ihnen steht jeweils ein kleines Tellerchen mit Brothäppchen und Apfelspalten. Meine eine Tochter wackelt auf ihrem Stuhl umher, krakelt vor sich hin und hängt mit ihrem Oberkörper halb auf dem Teller ihrer Schwester. Diese akrobatischen Übungen dienen nicht etwa dazu, ihrer Schwester in unendlicher Liebe, um den Hals zu fallen, sondern das Essen auf den Tellern zu vergleichen. Hat meine Schwester anderes Essen bekommen? Hat sie etwa mehr bekommen?
Offensichtlich fürchten meine Kinder beim Verteilungskampf, um Nahrung zu kurz zu kommen. Darüber mag man Schmunzeln haben wir doch mehr als genug Essen vorrätig. Leider tobt bei uns zu Hause nicht nur ein Kampf um unser Essen, sondern auch um Liebe und Aufmerksamkeit.
Kommt dir das bekannt vor, sind deine Zwillinge genauso? Oder lebt Ihr in einer Großfamilie, in der jedes Kind entsprechend seinem Alter Aufmerksamkeit, Liebe und Zuwendung möchte? In dem folgenden Artikel erzähle dir, wie wir Neid und Eifersucht unter Zwillingen und Geschwistern erleben und damit umgehen.
Alle wollen Liebe
Da wäre zunächst der Wunsch nach Liebe und Aufmerksamkeit, der für Eltern wunderschön und gleichzeitig so anstrengend sein kann.
Meine Kinder sind gerade aus dem Kindergarten nach Hause gekommen. Ich setze mich auf das Sofa, mein Sohn springt auf meinen Schoß und schmiegt sich an mich. Sofort kommt mein anderer Sohn angelaufen und möchte auch auf meinem Schoß sitzen – allein. Sein Bruder soll ihm Platz machen. Er möchte Mama jetzt für sich allein haben. Ich schlage vor, dass jeder auf einem Knie sitzt und wir alle zusammen kuscheln. Nein!! Beide wollen in der Mitte auf meinem Schoß sitzen.
Meine Söhne fangen an sich gegenseitig weg zu schubsen. Erst weint der eine. Dann auch noch der andere. Und jetzt? Um ehrlich zu sein: Eine Patentlösung für diese Situation habe ich auch nicht. Ich bilde mir ein, dass geplante „Mamazeiten“ für jedes Kind helfen und „Kuschelneid“ minimieren. Ich weiß aber auch, wie schwierig es ist solche festen „Mamazeiten“ einzuhalten.
Gleiches gilt für Papa, der viel und lange arbeitet und dadurch meist nur morgens und abends spät verfügbar ist. Sobald er auftaucht, wollen alle ein Stück (Arm oder Schoß) von ihm abhaben oder Zeit mit ihm verbringen. Papa soll sich selbst Gebasteltes oder Gebautes anschauen, und zwar gleichzeitig bitte. Auch hier helfen Papazeiten, die bei einem Vollzeit berufstätigen Menschen fast noch schwerer einzurichten sind.
Alle wollen das, was der andere hat
Bei uns reichen Überraschungseier, um einen riesigen Streit mit Tränen auszulösen. Überraschungseier enthalten eine Überraschung, die in jedem Ei unterschiedlich ist. Meine eine Tochter fühlt sich immer im Nachteil gegenüber ihren Geschwistern, egal welches kleine Spielzeug sie in ihrem Überraschungsei hat. Gut gemeinte Geschenke von Freunden und Verwandten haben schon dazu geführt, dass unser gesamter Nachmittag im Eimer ist.
Wenn ich meinen Freundinnen mit Geschwisterkindern von diesen Vorfällen erzähle, sagen mir alle, dass ihre Geschwisterkinder auch ständig um Aufmerksamkeit buhlen. Das ist mit Sicherheit so. Doch lässt sich bei Geschwistern verschiedenen Alters leicht begründen, warum sie unterschiedlich behandelt werden: „Dein Bruder ist größer und geht gleich Fußball, da braucht er das größte Stück Fleisch.“ „Deine kleine Schwester sitzt jetzt auf meinem Schoß. Sie ist doch noch so klein. Du kommst doch schon bald in die Schule.“
Ob diese Begründungen für Kinder immer nachvollziehbar sind, bezweifle ich. Wenn ein (Vorschul-)kind kuscheln will, will es kuscheln, egal ob es bald in die Schule kommt oder nicht. Wenn es Eifersucht fühlt, fühlt es Eifersucht, egal, ob sein Geschwisterkind gleich einen wichtigen Termin hat oder nicht. Letztlich nimmt man mit solchen Begründungen die Gefühle seiner Kinder nicht ernst. Das hilft im Augenblick und beruhigt das Gewissen. Den eigentlichen Grund für die Eifersucht oder den Neid beseitigt es nicht.
Wahrscheinlich lassen sie den Neid auf die Geschwister teilweise sogar noch größer werden. Sie beruhigen das Gewissen der Eltern. Das älteste Kind ist eben älter und kann mehr das jüngere weniger. So einfach können es sich Eltern von Zwillingen nicht machen. Sie müssen von Anfang an Farbe bekennen, warum ist die Schwester auf dem Schoß? Warum bekommt er oder sie noch einen Apfel und ich nicht. In vielen Situationen hilft nur Ehrlichkeit und Gerechtigkeit. Wir haben eine Türöffner- Liste, eine Wickelliste und wir vereinbaren Zeitfenster, wie lange jemand mit einem Spielzeug spielen darf.
Warum kann mein Zwilling das schon und ich noch nicht?
Neid entsteht bei uns nicht nur, wenn es darum geht, Ressourcen zu verteilen, sondern auch wenn es um Fähigkeiten, d.h. das Können oder Nichtkönnen bestimmter Sachen geht. Warum kann meine Schwester schon laufen? Warum kann mein Bruder schon mit der Schere schneiden? Was soll man als Eltern auf solche Fragen antworten?
Die Wahrheit ist: Jeder kann irgendetwas besonders gut. Meine großen Mädchen lernen das gerade und fangen an, sich selbst und ihre Fähigkeiten besser einzuschätzen. Meine Jungs sind noch nicht so weit. Da hilft nur eine einfache Antwort: Bestimmte Sachen sind ebenso wie sie sind. Manche Menschen laufen eher als andere. Manche können besser zeichnen. Manche klettern schneller als andere und manche laufen schneller. Jeder Mensch ist einzigartig, das macht ihn einzigartig, liebenswert und zu dem, wer er ist.
Selbstkritisch muss ich anmerken, dass wir hier nicht die allerbesten Vorbilder sind. Wir vergleichen selbst sehr viel. Meine Vermutung ist, dass Eltern von Geschwistern weniger vergleichen als Eltern von Zwillingen, weil die Kinder mit ein paar Jahren Abstand geboren wurden. Die Erinnerung an das, was der Erstgeborene konnte, schwindet. Vergleiche sind schwerer möglich und drängen sich nicht ständig auf.
Viele Eltern haben für das zweite Kind weniger Zeit und Aufmerksamkeit als für das erste Kind. Mein Gefühl ist, dass Eltern von Geschwisterkindern es als natürlich hinnehmen, dass das zweite Kind gefühlt weniger weit entwickelt ist als das erste. Die Eltern werden entspannter. Für die unterschiedliche Entwicklung gibt es aus Sicht der Eltern und des Umfelds eine logische Erklärung. Der oder die Erstgeborene war eben zuerst da und wurde als Einzelkind mit viel Aufmerksamkeit großgezogen. Bei dem zweiten Kind fehlen die Kapazitäten jeden Entwicklungsschritt genau zu verfolgen.
Bei Zwillingen gibt es diese Erklärung nicht. Im Gegenteil, das Umfeld erwartet, dass Zwillinge gleich sind. Sie waren zur selben Zeit im Mutterbauch, haben durch die Nabelschnur dieselben Nährstoffe zu sich genommen und dieselben Stimmen gehört. Das muss Menschen doch gleich oder zumindest sehr ähnlich werden lassen.
Sind Zwillinge gleich?
Vor der Geburt meiner Mädchen war genau das meine Erwartungshaltung. Meine beiden Kinder würden sich doch schon sehr ähneln, auch wenn es zweieiige Zwillinge sind. Nach der Geburt stellte sich schnell heraus, dass ich zwei sehr unterschiedliche Wesen geboren habe. Die eine schläft und isst sehr gut, dafür wird sie wahrscheinlich keine Supersportlerin. Mama ist schließlich auch keine. Die andere ein Hungerhaken, der noch heute über schlechte Träume klagt, gerne liest und sehr sportlich ist. Ganz wie der Papa, der früher Ausdauersport betrieben hat.
Wie unterschiedlich die beiden sind, zeigte sich bei der ersten U-Untersuchung im Krankenhaus. Meine mit motorischen Fähigkeiten gesegnete Tochter veranlasste die noch sehr junge und rhetorisch unerfahrene Kinderärztin, zu wahren Freudenschreien. Meine andere Tochter, deren motorischen Fähigkeiten weniger stark ausgeprägt sind und die bei der Untersuchung noch unter einer Gelbsucht litt, rief eher ein Stirnrunzeln hervor.
Ich habe auf die unterschiedliche Reaktion der Kinderärztin ebenfalls reagiert. Ich war sauer auf die Kinderärztin und irgendwie auch sauer auf meine Tochter, die keine Begeisterungsstürme bei der Kinderärztin hervorgerufen hatte. Habe ich in diesem Moment schon, den Grundstein für das leistungs- und wettbewerbsorientierte Verhalten meiner Töchter gelegt?
Solche Situationen kommen immer wieder vor. Eine meine Töchter überraschte mich mit ihren Fähigkeiten oder ihrem Verhalten, die andere konnte oder machte dies genau nicht. Dies kann daran liegen, dass sie es noch nicht kann oder dass sie es nicht machen will. Nur so ist sie anders als ihr Zwilling. Zwillinge können sich oft nur durch ihre (betonten) Unterschiede voneinander abgrenzen und Individualität herstellen. Jeglicher Druck ist hier kontraproduktiv.
Ich musste erst lernen, dass ständiges Vergleichen der Eltern nicht dazu führen darf, dass Positives und Individualität gar nicht mehr wahrgenommen werden. Bei einem Einzelkind begrüßen Eltern jeden Entwicklungsschritt jede Begabung. Jedem Charakterzug wohnt etwas Positives inne. Bei Zwillingen geht die „Zweite“ oft unter oder ihr Können wird als „na endlich klappt das auch“ wahrgenommen.
Konkurrenz belebt das Geschäft
Auf der anderen bringt Konkurrenzdenken der Kinder Vorteile mit sich. Meine Kinder lernen voneinander. Die Zwillinge untereinander und die Kleinen von den Großen. Kann der oder die andere etwas, möchten die Geschwister es auch lernen. Vielleicht nicht sofort aber früher oder später schon.
Meine Kleinen haben viel früher als die Großen auf Stühlen mit am Tisch gesessen und schnell unser „normales“ Essen probiert. Babyfood war deutlich schneller als bei den Großen passé.
Die Kleinen probieren auf dem Spielplatz die Spielgeräte der Großen aus. Mir stockt manchmal der Atem, was sie sich alles trauen. Dafür sind sie motorisch weit und geübt. Konkurrenz belebt das Geschäft.
Das Umfeld vergleicht auch
Nicht nur Zwillinge vergleichen sich untereinander auch das Umfeld vergleicht ständig den einen mit dem anderen. Ein Phänomen, das ich bei Müttern von Erstgeborenen besonders stark wahrnehme. befeuert wird dies durch entsprechende Literatur, die einem monatsweise nahelegt, was das eigene Kind zu diesem Zeitpunkt können sollte oder welchen Entwicklungsschub es gerade durchmacht.
Schnell fällt auf, „oh, der eine Zwilling kann ja schon und der andere oh, der kann ja noch gar nicht…“ Ich glaube das dieses ständige Bewerten der Umwelt und die Reaktion der Eltern auf dieses Bewerten (Ist das wirklich noch normal, dass sie nicht…) ungewollt den Vergleichskampf der Zwillinge untereinander befeuert.
Konkurrieren Jungen anders als Mädchen?
Konkurrieren Jungen anders als Mädchen? Bei uns ist das so. Woran liegt das? Ist das alles genetisch bedingt? Wir konnten den Jungen als doppelt Zweitgeborene nicht die gleiche Aufmerksamkeit schenken wie den Mädchen. Auch in unserem Umfeld, wurde die Geburt von zwei Mal Zwillingen zwar mit einer Mischung aus Entsetzen und Respekt begrüßt. Die Jungen befanden sich zu keinem Zeitpunkt so im Zentrum der Aufmerksamkeit wie die Mädchen.
Dies entspannt uns und automatisch die Kinder. Wenn Mama sich keine Sorgen macht, weil der eine Zwilling schon laufen kann und der andere noch nicht, überträgt sich diese Sorge auch nicht auf die Kinder. Leistungsdenken „Ich muss das auch können, Mama macht sich Sorgen“ und damit auch Konkurrenzdenken „Mein Geschwisterkind ist besser als ich“ entstehen seltener.
Entspannte Eltern haben entspannte Kinder
Das dürfte die größte Erkenntnis aus zwei Mal Zwillingen sein. Entspannte Eltern haben entspannte Kinder. Kuschelbedürftige Kinder (auch vier auf einmal), die einen mit ihrer Liebe fast erdrücken, Streithähne und Meckerzicken erträgt man als Eltern leichter, wenn man entspannt ist. Gelegentliches Ein- und Ausatmen, Auszeiten für gestresste Eltern können helfen. Spielplatzgespräche mit anderen Eltern führe ich möglichst über Themen, in denen es nicht darum geht, was mein Kind gerade kann. Das fällt mir selbst schwer, weil ich manchmal einfach stolz bin auf meine Kinder oder mir Sorgen mache, dass sie etwas nicht können. Damit wären wir beim Thema Selbstfürsorge. Aber das ist schon wieder ein anderes Thema…
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