Kennt Ihr den? „Piep, piep, piep – wir haben uns alle lieb – Guten Appetit – Frau Schmied“. Den letzten Teil haben meine Kinder frei ergänzt, um diesen überaus anspruchsvollen Tischspruch noch ein bisschen anspruchsvoller zu machen.

Auf den folgenden Seiten möchte ich über Sinn und Unsinn von Tischsprüchen philosophieren. Kein wichtiges Thema? Ich finde schon. Tischsprüche sagen und hören Kinder jeden Tag. Als Familie oder im Kindergarten beeinflussen wir das Weltbild und Verhalten unserer Kinder, indem wir ihnen bestimmte Werte und Verhaltensweisen vorleben. Das fängt im Kleinen mit Tischsprüchen an. Tischsprüche können sexistisch sein oder Unruhe an den Tisch bringen, bevor das Essen überhaut angefangen hat.

Auf der anderen Seite können wir Kindern mit Tischsprüchen, spielerisch Lerninhalte wie zum Beispiel Zählen beibringen. Tischsprüche können zu einem Ritual werden, dass eine ruhige, gemeinsame Mahlzeit einleitet.

Ihr merkt, ich habe ein zwiegespaltenes Verhältnis zu Tischsprüchen. Dieses Verhältnis hat sich über Jahre entwickelt. Als meine Kinder essen lernten, fand ich Tischsprüche sinnvoll. Die ganze Familie setzt sich zusammen an den Tisch, um zu essen. Damit alle zusammen beginnen und alle wissen, wann sie ruhig und leise sitzen sollen, startet das Essen mit einem Tischspruch. Soweit so gut. Das hörte sich für mich logisch und sinnvoll an. Die wenigsten Familien beten noch vor dem Essen, also stimmt sich die Familie anders auf die gemeinsame Mahlzeit ein.

Bei 1-Jährigen habe ich mir wenig Gedanken um den Inhalt der Tischsprüche gemacht, Hauptsache die Kinder sitzen und wissen, ab wann sie sitzen bleiben sollen. Im Vordergrund steht das Ritual: Wir sitzen alle gemeinsam zusammen, wir fassen uns an den Händen und wünschen uns einen guten Appetit. Den Inhalt meiner Tischsprüche haben meine kleinen Kinder oft noch nicht richtig verstanden.

Im Laufe der Zeit, verstehen Kinder, nicht nur, was sie sagen, sondern sie machen leidenschaftlich mit. Zu blöd, wenn der Tischspruch, der eigentlich für Ruhe und Ordnung sorgen soll mit heftigem Körpereinsatz und einem kräftigen Schlag auf den Tisch endet.

Erst mal ordentlich Zappeln, wenn alle am Tisch sitzen

 

Der Tisch ist gedeckt und alle setzen sich ruhig hin (schön wärs). Das Foto ist von Any Lane von Pexels

Ein wunderbares Beispiel für vollen Körpereinsatz, sobald alle Platz genommen haben.

„Die Räuber schimpfen sehr, denn der Teller ist noch leer, erstmal mit den Fingern hackeln, kräftig mit dem Popo wackeln, liebevoll das Bäuchlein streicheln, über Kreuz die Hände reichen, zicke, zacke Zunger, die Räuber haben Hunger, Guten Appetit!“

Dieser Tischspruch verkörpert das genaue Gegenteil von dem, was ich mir von meinen Kindern beim Essen wünsche. Was bringt es, wenn ich jeden Tag aufs Neue meine Kinder gebetsmühleartig ermahne ruhig zu sitzen, geduldig auf ihr Essen zu warten und sich gegenseitig weder zu schubsen, zu treten oder zu kneifen. Ein paar Minuten später beim Tischspruch fordere ich sie auf, mit dem Popo zu wackeln und sich in Fingerhakeln zu üben. Hä? Oder 1:1 übersetzt:

Die Räuber schimpfen sehr, denn der Teller ist noch leer = Ich: Gleich ist das Essen fertig, hört auf so herum zu schimpfen, wascht Euch die Hände und setzt Euch hin

Erstmal mit den Fingern hackeln, kräftig mit dem Popo wackeln, liebevoll das Bäuchlein streicheln = Ich: Setzt euch ruhig hin und hampelt nicht so herum

Über Kreuz die Hände reichen = Ich: Bitte legt euch nicht über den Tisch, wenn ihr euch nicht die Hände reichen könnt (weil die Arme noch zu kurz sind),

die Räuber haben Hunger= Ich: Naja, der harmlose Teil. Gibt es auch Räuberinnen?

zicke, zacke, Zunger= Ich: Wieso Zunger? Wenn allenfalls dann Zunge. Ich bin froh, wenn meine Kinder deutlich sprechen können, warum soll ich ihnen etwas Falsches beibringen?

Falls der schlaue pädagogische Hintergrund dieses Tischspruches sein sollte, dass Kinder sich erst richtig am Tisch austoben sollen, um dann umso ruhiger zu essen, kann ich nur sagen, dass das bei meinen Kindern nicht funktioniert. Sie geraten in eine Aktionsdauerschleife, die in einem Popodauertanz ausartet. Dieser Tischspruch bietet jede Menge Unterhaltung dient aber kaum dazu Kinder auf eine gemeinsame Mahlzeit einzustimmen.

Hier noch einige weitere Beispiele, bei denen sich mir der Magen umdreht:

Das genaue Gegenteil von guten Tischmanieren vermittelt folgender Tischspruch:

Es war einmal ein Krokodil, das fraß und fraß unheimlich viel, es schmatzte und schmatzte bis es platzte. Guten Appetit. Bei „platzte“ hauen meine Kinder auf den Tisch, so dass die Teller und das Besteck in die Luft fliegen.

Ich sage nur: Warum schmatzt das Krokodil? Und warum muss es so viel essen, bis es platzt? Könnte es nicht aufhören, wenn es keinen Hunger mehr hat? Und warum müssen die Teller und das Besteck durch die Luft fliegen, bevor das Essen angefangen hat. Letzteres finde ich besonders ärgerlich, wenn die Kinder den Tisch gedeckt haben und ich ihnen erklärt habe, wo und wie Messer und Gabel bei einem gedeckten Tisch liegen.

Mamas kochen, Papas gehen arbeiten

Auch Geschlechterrollen werden gerne wiederholt:

„Heute kocht die Hasenmutter aus dem Ofen Hasenfutter, rührt im Topf 1,2,3, Grünkohl, Kraut, Kartoffelbrei, und zum Nachtisch, 4, 5, 6, 7 gibt es süße Zuckerrüben.“

Mein erster Gedanke: Und was macht der Hasenvater? Wahrscheinlich wird der gerade vom Fuchs gefressen oder ist draußen, um Löwenzahn zu besorgen (= Geld zu verdienen). Die Botschaft ist klar, Mamas, Köchinnen und Erzieherinnen kochen, Männer gehen arbeiten. Außerdem ist es wenig sinnvoll Nachtisch zu erwähnen, wenn es keinen gibt. Zumindest bei uns gibt es nur am Sonntag Nachtisch. Jeder Hinweis darauf unter der Woche weckt Begehrlichkeiten, die mir das Leben unnötig schwer machen.

Bin ich kleinlich? Ich weiß, dass Tischsprüche meist nur ein- oder zweimal am Tag zum Einsatz kommen. Trotzdem widerstrebt es mir, meine Kinder täglich etwas wiederholen zu lassen, was meinen ethisch-moralischen Überzeugungen widerspricht. Außerdem bin ich überzeugt, dass es Kinder negativ beeinflusst, wenn man unerwünschte Stereotypen täglich bei den Mahlzeiten wiederholt.

Was tun? Ich habe beschlossen, Tischsprüche beizubehalten. Sie haben ihre Berechtigung. Durch das Sprechen des Tischspruches bildet sich eine Tischgemeinschaft, Ruhe kehrt ein. Es gilt, die richtigen Alternativen zu finden. Gut finde ich Tischsprüche, in denen man für das Essen dankt.

Hier zwei kurze Sprüche, mit denen die Familie kurz und knackig danke für das gute Essen sagt.

„Wir sitzen zusammen, der Tisch ist gedeckt, wir wünschen uns allen, dass es gut schmeckt. Guten Appetit!“

„Danke für die guten Sachen, die uns satt und fröhlich machen. Guten Appetit!“

 

Tischsprüche können auch zum Essen passen. Zum Beispiel, wenn es Fisch gibt. Das Foto ist von cottonbro von Pexels.

Und zu guter Letzt noch ein längerer Tischspruch, den wir besonders mögen, wenn es Fisch gibt.

„Viele kleine Fische, schwimmen jetzt zu Tische, reichen sich die Flossen, haben nun beschlossen, nicht so viel zu blubbern, sondern was zu futtern Drum rufen alle mit Guten Appetit!“

Was sagt ihr zu den Tischsprüchen eurer Kinder? Egal? Oder doch lieber ein Tischgebet?

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